P-051

Zellkultur-basiertes In-vitro-Verfahren zur Bestimmung der Aktivität des Botulinumtoxins

Prof. Dr. Gerhard Püschel
Universität Potsdam

03/2012 - 02/2015

Bei der Gewinnung des hochgiftigen Botulinumtoxins muss die Aktivität jeder Charge bestimmt werden. Dafür sterben jährlich weltweit ca. 300.000 Mäuse einen qualvollen Erstickungstod. Ein Zell-basiertes Verfahren kann den Tierversuch weitgehend ersetzen.

Hintergrund:

Botulinumtoxin ist ein bakterielles Exotoxin. Es wird vom anaerob wachsenden Sporen-bildenden Bakterium Clostridium Botulinum produziert und gehört zu den potentesten bakteriellen Giften überhaupt. Die tödliche Dosis beim Menschen liegt bei etwa 1 ng/kg Körpergewicht. Botulinumtoxin ist ein Neurotoxin, das die Freisetzung von Überträgersubstanzen aus den Endigungen der Nerven hemmt, die die Muskelkontraktion stimulieren. Dadurch führt es zur schlaffen Lähmung der betroffenen Muskeln. Der Tod tritt durch Lähmung der Atemmuskulatur ein.

Botulinumtoxin ist ein Protein, das aus zwei Untereinheiten besteht. Die große Untereinheit bindet an Nervenzellen und sorgt dafür, dass die kleine Untereinheit in Nervenzellen eindringen kann. In den Nervenzellen zerstört die kleine Untereinheit Proteine, die für die Freisetzung der Überträgersubstanzen aus den Nervenzellen notwendig sind. Es gibt unterschiedliche Serotypen von Botulinumtoxin, die sich sowohl bezüglich der Strukturen, über die das Toxin an Nervenzellen bindet als auch bezüglich der Proteine, die durch die kleine Untereinheit gespalten werden, unterscheiden.

Die Bakterien gedeihen in unzureichend sterilisierten, unter Luftabschluss gelagerten Lebensmitteln, z. B. unsachgemäß zubereiteten Konserven, deren Verzehr zum oft tödlich verlaufenden Krankheitsbild des Botulismus führt. In niedriger Dosierung lokal verabreicht kann Botulinumtoxin aber als Medikament eingesetzt werden, um Krankheitsbilder zu behandeln, die durch eine Dauerkontraktion (Spasmus) eines Muskels oder einer Muskelgruppe zustande kommen wie z. B. den Liedkrampf oder den spastischen Schiefhals. Die breiteste therapeutische Anwendung findet Botulinumtoxin aber in der kosmetischen Medizin, in der es eingesetzt wird, um die Bildung von Hautfältchen durch gezielte Lähmung der die Fältchen verursachenden Hautmuskulatur zu unterdrücken. Dazu wird es in geringer Konzentration in die entsprechenden Hautregionen injiziert.

Botulinumtoxin für die therapeutische Anwendung wird aus Kulturen von Clostridien gewonnen. Bei den dafür notwendigen Reinigungsschritten wird ein Teil des Proteins inaktiviert. Daher besteht das fertige Präparat aus schwankenden Anteilen funktionstüchtigen und inaktiven Proteins. Wegen der hohen Toxizität muss die Aktivität jeder Präparation genau bestimmt werden. Dabei muss die Aktivität sowohl der großen als auch der kleinen Untereinheit erfasst werden. Dies gelingt derzeit am zuverlässigsten durch die Messung der biologischen Wirkung im Ganztier. Dazu wird die Konzentration des Präparates bestimmt, bei der die Hälfte der behandelten Mäuse an Atemlähmung verstirbt. Für diesen Test sterben jährlich weltweit ca. als 300.000 Mäuse einen qualvollen Erstickungstod (http://altweb.jhsph.edu/sebin/c/g/altex_2_10_bitz.pdf; accessed 14. 6. 2012).

 

Projekt:

In dem Projekt wurde ein Zell-basiertes Verfahren zur Messung der Aktivität von Botulinumtoxin etabliert, das den Tierversuch weitgehend ersetzen kann. Es unterscheidet sich von allen bisher etablierten Ersatzverfahren dadurch, dass über einen Reporter, der gleichzeitig mit dem Neurotransmitter aus Nervenzellen freigesetzt wird, der Endpunkt der Botulinumtoxinwirkung, die Hemmung der Neurotransmitterfreisetzung aus der Nervenzelle, direkt erfasst wird. Dadurch wird sowohl die Aktivität der großen als auch die der kleinen Untereinheit in einem Schritt bestimmt und es sollte theoretisch möglich ein, die Aktivität des Toxins unabhängig vom Serotyp zu erfassen.

Das Prinzip (Abb. 1) beruht darauf, dass in der Zelle Proteine durch bestimmte Aminosäuresequenzen (Adresssequenzen) an eine bestimmte Adresse in der Zelle dirigiert werden können. So kann man mit geeigneten Adresssequenzen auch Proteine in die Speichervesikel lenken, aus denen die Überträgersubstanzen der Nervenzelle freigesetzt werden. Diese Proteine werden dann gemeinsam mit den Überträgersubstanzen freigesetzt bzw. ihre Freisetzung dann gehemmt, wenn die Freisetzung der Überträgersubstanzen gehemmt wird. Wählt man als Protein ein Enzym, das normalerweise nicht von den Zellen produziert wird, kann man die Freisetzung anhand der Aktivität des Enzyms im Zellkulturüberstand bestimmen, die Stimulus-abhängige Aktivität im Überstand nimmt ab, wenn durch Botulinumtoxin die Freisetzung der Überträgersubstanz gehemmt wird.

 

 

Abb. 1: Prinzip des Zell-basierten Tests zur Messung der Botulinumtoxin-Aktivität.
Ein Reporterenzym (Luciferase) wurde an eine Proteinsequenz gehängt, die das Enzym in Neurotransmittervesikel umleitet. Das Reporterenzym wird zusammen mit dem Neurotransmitter Stimulus-abhängig aus der Zelle freigesetzt. Die Freisetzung sowohl des Neurotransmitters als auch des Reporters wird durch Botulinumtoxin gehemmt.


Es wurde auf der Grundlage einer menschlichen Nerventumorzelllinie (Neuroblastomzelllinie) eine transgene Zelllinie etabliert, die eine Luciferase (ein Licht-produzierendes Enzym) synthetisiert und zusammen mit den Überträgersubstanzen aus Speichervesikeln freisetzt, wenn die Zelle mit einem Stimulationspuffer dazu angeregt wird. Die Stimulus-abhängige Freisetzung kann durch Botulinumtoxin praktisch vollständig gehemmt werden (Pathe-Neuschäfer-Rube et al. ALTEX 2015; 32: 297-306.  http://www.altex.ch/All-issues/Issue.50.html?iid=155&aid=5). Für Botulinumtoxin des Serotyps A konnte gezeigt werden, dass es dosisabhängig die Stimulus-abhängige Freisetzung des Reporterenzyms aus den Nervenzellen hemmt (Abb. 2).

Abb. 2: Dosis-abhängige Hemmung der Stimulus-abhängigen Reporterfreisetzung durch Botulinumtoxin Serotyp A (BoNT/A).
Zellen wurden mit der angegebenen Konzentration BoNT/A (angegeben als Mausletalitäts-Einheiten) behandelt und die Stimulus-abhängige Freisetzung des Reporters bestimmt (vorläufige Daten).
 

Sowohl Empfindlichkeit als auch Dosisbereich kommen den Ergebnissen im Mausletalitäts-Test sehr nahe. Das Verfahren ist daher grundsätzlich als Ersatzverfahren geeignet. Botulinumtoxin vom Serotyp C konnte mit ähnlicher, Botulinumtoxin vom Serotyp B allerdings nur mit deutlich geringerer Empfindlichkeit nachgewiesen werden, wie Botulinumtoxin vom Serotyp A (Abb. 3).

Abb. 3: Hemmung der Reporterfreisetzung durch unterschiedliche Botulinum-Toxin-Serotypen.
Zellen wurden mit dem angegebenen Serotyp Botulinumtoxin behandelt und die Stimulus-abhängige Reporterfreisetzung wurde bestimmt (vorläufige Daten).

Im Sinne der 3 R stellt das Verfahren eine Möglichkeit zum weitgehenden Ersatz (Replacement) des Tierversuchs bei der Messung der Aktivität von Botulinumtoxin dar. Wo es notwendig erscheint, die Höhe der Aktivität zur Sicherheit weiterhin zusätzlich durch den Tierversuch zu bestätigen, kann die Anzahl der dafür notwendigen Tiere reduziert werden, da der Bereich der zu testenden Dosierungen durch den Zell-basierten Assay stark eingeengt werden kann.

Ausführende Institution

Universität Potsdam
Institut für Ernährungswissenschaft
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal

Förderlaufzeit

03/2012 - 02/2015

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